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Über den Autor

Philipp Ikrath, geboren 1980 in Wien, leitet den Verein »jugendkulturforschung.de« in Hamburg und ist in der Geschäftsleitung des Marktforschungsunternehmens »tfactory« in Wien und Hamburg tätig. Zuletzt erschien von ihm gemeinsam mit Bernhard Heinzlmaier bei Promedia »Generation Ego. Die Werte der Jugend im 21. Jahrhundert« (2013, als E-Book erhältlich).

1. Vorwort

Der Hipster ist in den letzten Jahren zum Gegenstand regelmäßiger Berichterstattung geworden. Sein Lebensstil, oder das, was man dafür hält, wird in Feuilletonartikeln seziert und in Internetblogs mit Spott überhäuft. Die Grundhaltung, die dabei an den Tag tritt, ist normalerweise eine kritische. Dem Hipster werden allerlei Übel der Gegenwart angelastet. Er verursacht die Gentrifizierung, ist ein willenloser Konsumzombie und ein elitärer Snob. Seine Ironie zerstört die Sphäre des Politischen, außerdem zersetzt er als oberflächlicher Eventfan, ohne echte Liebe zum Sport und nur am Spektakel interessiert, den authentischen, ehrlichen Fußball. Seine verspielten Tattoos sind so peinlich wie die ironischen T-Shirts und die engen Jeans, und seinen Vollbart finden wir ohnehin eklig.

Doch eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Hipsters findet kaum irgendwo statt. Das ist merkwürdig, denn selten wurde einer jugendlichen Subkultur so viel Ablehnung entgegengebracht wie dem Hipster. Jugendszenen waren immer schon verdächtig, vor allem für die Konservativen und die Etablierten. Verdächtig der Zersetzung der Gesellschaft, der Zerstörung des Wahren, Guten und Schönen, der Unterminierung echter Werte. Aus denselben Gründen haben ihnen die Progressiven aber gerade deshalb immer auch ein im positiven Sinne subversives, emanzipatorisches Potenzial zugesprochen. Aus ihrem Blickwinkel waren jugendliche Sub- und Gegenkulturen Horte des Widerstandes gegen das bestehende Gesellschaftssystem oder zumindest Rückzugsräume für junge Menschen, die ihnen dabei geholfen haben, sich vom Elternhaus zu lösen, mit unterschiedlichen Rollenmustern zu spielen und im Austausch mit gleichaltrigen Gleichgesinnten die Welt zu reflektieren und damit ihren eigenen Platz in der Gesellschaft zu finden.

In der zeitgenössischen Jugendforschung gelten Jugendszenen als zumindest wichtige, mitunter sogar zentrale Orte der Sozialisation. Kritische Stimmen werden nur dann laut, wenn wieder einmal ein Rapper einen sexistischen oder gewaltverherrlichenden Text auf einem Song untergebracht hat oder wenn gewalttätiges Verhalten auf den übermäßigen Konsum von Computer- und Videospielen zurückgeführt wird. Dass aber eine ganze junge Subkultur pauschal abgelehnt und kritisiert wird, kommt eigentlich nur mehr bei Szenen vor, die sich politisch am äußersten Rand positionieren. Derzeit sind das vor allem extremistische islamistische Gruppierungen, wobei zu fragen wäre, ob es sich bei ihnen um Jugendkulturen im klassischen Sinne handelt. Aber das ist eine andere Debatte. In diesem Buch soll es um den Hipster gehen. Und der mag alles sein, ganz bestimmt ist er aber kein Extremist.

Bevor wir uns den Gründen und den Methoden zuwenden, aus denen bzw. mittels derer dieses Buch entstanden ist, wollen wir zuerst einen kurzen Überblick darüber geben, was wir uns im Rahmen dieser Ausführungen unter dem Hipster vorzustellen haben. Da verbindliche Definitionen fehlen, werde ich an dieser Stelle einige zen­trale Wesensmerkmale dieses Typus skizzieren, wie sie uns in der gegenwärtigen Debatte immer wieder begegnen. Diese Skizze wird notwendig oberflächlich sein. Mein Anliegen ist es, in meinen Ausführungen dem Phänomen näher zu kommen und zu versuchen, ein klareres, weiter in die Tiefe gehendes Verständnis des Hipsters zu ermöglichen. Aber zurück zu den Klischees.

Unter einem Hipster versteht man im Allgemeinen einen Angehörigen der gehobenen Schichten. Er ist Gymnasiast, studiert oder hat gerade ein Studium abgeschlossen. Hinsichtlich seines Alters können wir ihn im Segment der älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen verorten, das ist, annäherungsweise, die Altersgruppe der 16- bis 30-Jährigen. Der Hipster wird ganz überwiegend als Mann vorgestellt. Das ist auch der Grund dafür, warum ich in diesem Buch immer von dem Hipster, nicht aber der Hipsterin – für sie hat sich noch kein Begriff etabliert – spreche. Ich gehe aber davon aus, dass es grundsätzlich nicht weniger weibliche als männliche Hipster geben dürfte, deswegen ist, wenn ich vom Hipster spreche, gleichzeitig immer auch sein weiblicher Konterpart gemeint. Ohne selbst ein Künstler zu sein, umgibt sich der Hipster gerne mit einer Aura des Kreativen. Er möchte am liebsten »irgendwas mit Medien« machen oder in einer Branche der sogenannten »Kreativindustrien«, der Werbung, dem (grafischen) Design, der Kulturindustrie etc. arbeiten.

Sein Äußeres ist bohemienhaft, sein Habitus der des Intellektuellen. Man erkennt ihn an einem Vollbart, wenn er ein Mann ist, und an einer asymmetrischen Stirnfransenfrisur, wenn sie eine Frau ist. Das stereotype Accessoire des Hipsters ist ein Jutebeutel, den er anstatt einer Tasche, eines Rucksackes oder eines anderen Behältnisses zum Transport verwendet. Seine Kleidung und sein Styling sind nur scheinbar nachlässig. Tatsächlich achtet der Hipster sehr genau darauf, wie er sich in der Öffentlichkeit präsentiert. Trotz seines bohemienhaften Auftretens ist der Hipster kein Rebell. Er hat sich mit den herrschenden Verhältnissen ganz gut angefreundet und arrangiert. Er ist der Auffassung, dass ihm die gegenwärtige Gesellschaftsordnung alleine das ermöglichen kann, was für ihn am wichtigsten ist: die Verwirklichung der eigenen Individualität. Es lässt sich durchaus eine Brücke zwischen dem Bohemien vergangener Tage und der Hipster der Gegenwart ziehen.

Der Antikonformismus des Hipsters wird vor allem auf einer kulturellen Ebene spürbar, sie äußert sich kaum jemals politisch. Der größte Gegner des Hipsters ist der kulturelle Mainstream. Von ihm gilt es, sich um jeden Preis abzusetzen bzw. auch symbolisch abzugrenzen. Der Mainstream ist für den Hipster die Quelle der Banalität, diesem setzt er ein avancierteres Kulturverständnis entgegen, was ihm als Elitismus und Arroganz ausgelegt wird, während er sich selbst eher als einen Connaisseur ansieht. Dieses Kulturverständnis deckt sich aber nicht mit jenem des eta­blierten Bildungsbürgertums, das als verstaubt und spießig gilt, sondern ist in Richtung der alternativen und der Offkultur orientiert. So viel zu dem Klischeehipster, den man vor Augen hat, wenn man die Berichterstattung in den klassischen Medien verfolgt oder die eine oder andere Darstellung des Hipsters irgendwo im Internet gelesen oder gesehen hat. Dieser Typus begegnet uns in den Szenevierteln der Großstädte, in den Programmkinos, in den Galerien oder auf Indierock-Konzerten. Er ist ein fester Typus auf der Bühne des modernen urbanen Lebens.

Andere Quellen als unsere Alltagswahrnehmung und die tendenziöse Berichterstattung in den Medien gibt es aber nicht. Zu sagen, der Forschungsstand über den Hipster nähme sich ungenügend aus, wäre noch eine Untertreibung. Tatsächlich gibt es kaum halbwegs differenzierte Literatur, auch wenn der Hipster als Gegenstand von Untersuchungen an Bedeutung gewinnen dürfte. Zumindest haben den Autor bislang mehrere Anfragen von Studierenden erreicht, die sich im Rahmen von Haus-, Bachelor- oder Masterarbeiten mit dem Hipster beschäftigen wollen und deswegen verzweifelt auf der Suche nach Literatur sind. Ein Grund für dieses Buch liegt daher erstens in dem unzureichenden Forschungsstand zum Hipster. Offenbar ist er, das ist der zweite und wohl auch wichtigere Grund, ein Phänomen, das aus Gründen für Aufsehen sorgt, die bis jetzt noch nicht ganz ersichtlich sind. Denn das Kommen und Gehen von jugendlichen Subkulturen verläuft normalerweise unter der Wahrnehmungsschwelle, während der Hipster Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen ist. Ich vermute und möchte dies im Laufe meiner Ausführungen vertiefen, dass der Hipster eine Figur ist, die nicht nur eine Subkultur unter vielen ausmacht, sondern dass sich in ihm eine Reihe von Merkmalen unserer Gesellschaft idealtypisch verkörpern. Das macht ihn so interessant. Vor allem aus diesen beiden Gründen ist er als Gegenstand eines Buches von einigem Interesse.

Wie nähert man sich nun aber einem Phänomen, das bislang kaum erforscht ist? Und das, ohne allzu sehr ins Spekulative abzudriften oder auf der Ebene rein oberflächlicher Beschreibung hängen zu bleiben? Ich stelle mir, als astronomischer Laie, meine Herangehensweise in etwa so vor wie jene der Erforschung eines Himmelskörpers. Dafür stehen mir unterschiedliche Instrumente und Methoden zur Verfügung. Ich kann den Himmelskörper von der Erde aus betrachten – indem ich dessen Strahlung messe, mathematische Modellierungen durchführe oder ihn aus der Ferne bei klarem Himmel mit einem Teleskop betrachte. Außerdem kann ich einen Satelliten hinschicken, der den Planeten umkreist und aus der Umlaufbahn Bilder von dessen Oberfläche macht. Schließlich steht mir noch die Möglichkeit offen, eine Landesphäre zu starten, die auf der Oberfläche des Planeten aufsetzt, um dort Proben zu nehmen, die dann genauer analysiert werden können. Außerdem wird mich die Geschichte des Himmelskörpers interessieren, die mir möglicherweise Aufschluss über ein größeres Ganzes, wie die Entstehung des Universums, verraten kann. Diese Prinzipien möchte ich auf meine kultursoziologische Perspektive übertragen.

Erstens stehen mir theoretische Mittel zur Verfügung, die mir bei der Erforschung anderer Planeten als dem des Hipsters genauso hilfreich sein können und die dazu beitragen, das Phänomen Hipster in einem größeren Rahmen zu verorten. Das sind, im Falle des vorliegenden Buches, anders als beim Astronomen, keine mathematischen oder empirischen Verfahren. Um ein Phänomen wie das der Hipsterkultur angemessen zu verstehen, gebe ich in Kapitel 2 einen theoretischen Überblick über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die dazu geführt haben, dass ein Typus wie der Hipster überhaupt entstehen konnte. Soziale Phänomene entwickeln sich niemals aus sich selbst heraus, sie brauchen einen Nährboden, der ihre Herausbildung begünstigt. Anders als unser Planet hängen sie nicht im luftleeren Raum. Deswegen versuche ich, einige zentrale Tendenzen unserer Gegenwart, wie etwa den Prozess der Individualisierung, der Ästhetisierung und der Ökonomisierung unserer Welt kurz zu skizzieren. Ich wollte dabei nicht auf der Ebene der reinen Theorie verbleiben, stattdessen immer wieder versuchen, die gesamtgesellschaftlichen Tendenzen auf den Hipster zu beziehen und damit zu zeigen, dass er viele zentrale Entwicklungen unserer Zeit in einem idealtypischen Sinne verkörpert. Ich fasse den Hipster in diesem Zusammenhang nicht als ein konkretes Individuum auf, vielmehr als einen Idealtypus im Sinne Max Webers. Einige Klassiker der Philosophie und Soziologie haben mir bei diesem Unterfangen sehr geholfen.

Kapitel 3 ist eine historische Erkundung des Hipsters. Unseren Astronomen interessiert die Geschichte eines Himmelskörpers sicherlich nicht nur aus rein historischem Interesse, denn wenn es auf einem Planeten einmal Wasser gegeben hat, so sind diese Wasservorkommnisse vielleicht noch an den geologischen Oberflächenstrukturen sichtbar. Ganz zu schweigen von der Frage nach außerirdischem Leben … In den zeitgenössischen Auseinandersetzungen mit dem Hipster wird meist übersehen, dass er bereits in den USA der 1950er-Jahre eine höchst einflussreiche Figur war. Weiße Kids bedienten sich damals des Symbolkosmos der afroamerikanischen Unterschichten, sie solidarisierten sich, zumindest auf symbolischer Ebene, mit den Ausgestoßenen und Unterdrückten, um damit ihre Fundamentalopposition zur Mehrheitsgesellschaft auszudrücken. Der Schriftsteller, Journalist und Essayist Norman Mailer hat der Figur des Hipsters in seinem Essay »The White Negro« ein Denkmal gesetzt. Die Beat Poets, und deren Umfeld, die maßgeblichen Einfluss auf die Gegenkultur der 1950er- und der 1960er-Jahre nahmen, sind etwa zum Kreis dieser »Proto-Hipster« zu zählen. Zwar war ein vergleichbares Phänomen im Europa der 1950er-Jahre nicht zu beobachten, doch hilft uns der Essay Norman Mailers beim Verständnis des zeitgenössischen Hipsters enorm weiter. Denn obwohl sich der gegenwärtige Hipster kaum auf diesen Typus bezieht, gibt es eine Reihe von ganz erstaunlichen Parallelen, aber auch von großen Unterschieden. Die einen wie die anderen tragen aber, trotz – oder gerade wegen? – der zeitlichen Distanz, dazu bei, zu verstehen, wie der zeitgenössische Hipster tickt.

In Kapitel 4 schicke ich zum ersten Mal eine Sonde in die Umlaufbahn des Planeten Hipster. Diese wird ihn umkreisen und uns damit einige Einblicke in die Außenansicht des Hipsters im gegenwärtigen Hipsterdiskurs verschaffen. Mein Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Umstand, dass der Hipster, zumindest im deutschsprachigen Raum, der in diesem Buch im Zentrum des Interesses steht, Gegenstand einer Universalkritik, oder, weniger vorsichtig ausgedrückt: der pauschalen Ablehnung von allen Seiten ist. Ob links oder rechts, ob konservativ oder progressiv, ob etabliert oder rebellisch, niemand mag den Hipster. Wir lassen die Sonde einige Umkreisungen vollführen, indem wir uns, wenn es um die Hipsterkritik geht, nicht einer spezifischen Quelle von Kritik widmen, sondern ganz unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen lassen, die auch ganz unterschiedliche Aspekte des hippen Lebensstils bemängeln. Ich widme mich hier, auf Basis der feuilletonistischen, gehobenen Hipsterkritik ganz unterschiedlichen Vorwürfen, angefangen bei der Gentrifizierung über den des Desinteresses an Politik bis hin zu jener Wehklage, der Hipster hätte die gastronomische Kultur der Großstädte vereinheitlicht. Aus dem Chor der Hipsterkritiker lasse ich auch jene Stimmen hörbar werden, die aus dem Umfeld der Populärkultur kommen. Denn auf YouTube und anderen Onlineplattformen sucht man nach sowohl satirischer wie plumper Hipsterkritik nicht lange. Zum Abschluss des Kapitels unternehme ich den Versuch, herauszufinden, warum ausgerechnet der Hipster zum Gegenstand der Kritik geworden ist und nicht ein beliebiges anderes subkulturelles Milieu.

Kapitel 5 wagt schließlich eine erste Landung auf dem Planeten Hipster. Ganz wie die Sonde, die nur einige wenige Gesteinsproben zur Analyse mit auf die Erde bringen kann, um aus diesen Proben weitergehende Erkenntnisse über den Planeten abzuleiten, habe ich mich einigen exemplarischen Formen der hippen Selbstdarstellung gewidmet, die uns etwas darüber erzählen, wie sich der Hipster selbst wahrnimmt. Wir widmen uns vor allem Fragen des Lebensstils innerhalb der Erlebnisgesellschaft. Was sind die grundlegenden Merkmale von Vergemeinschaftung in einer Gesellschaft, in der sich die herkömmlichen Schichten aufzulösen beginnen bzw. sich zu Milieus wandeln, in denen es vor allem um Fragen des Lebensstils, des Aussehens, des gemeinsamen Erlebnisses etc. geht? Dabei stellt sich auch die Frage, was genau der Hipster eigentlich ist. Ist er Angehöriger einer Jugendszene, ist er ein soziales Milieu, ist er wirklich nur ein Individualist? Eine Analyse zweier Festivals soll uns einen Einblick in den hippen Habitus geben, uns etwas über dessen Kulturverständnis, dessen Bewertungsmaßstäbe von Kultur geben. Wir werden im Rahmen dieser Untersuchung feststellen, dass der Hipster, trotz seiner bohemienhaften Selbstdarstellung, deutlich mehr aus seiner Sozialisation innerhalb der bürgerlichen Klasse mitnimmt, als er das selbst wahrhaben möchte. Seine Werte und Bewertungsmaßstäbe unterscheiden sich im Kern gar nicht so sehr von denen des etablierten Bürgertums, auch wenn sie mitunter in einer ganz anderen Art und Weise zum Ausdruck gebracht werden.

In den darauffolgenden Kapiteln wollen wir tiefer bohren und uns zwei zentralen Aspekten widmen, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben. Auf den zweiten Blick aber erschließt sich der innere Zusammenhang. Es sind dies Ironie und Politik. Was den Wesenskern des Hipsters ausmacht, ist seine Ironie, auf die Kapitel 6 sein Hauptaugenmerk richtet. Ironie fängt bei den ironischen Aufdrucken auf den T-Shirts und den Stofftaschen des Hipsters erst an. Kein reines Stilmittel, keine reine Sache der Ästhetik, sondern Ironie als eine Geisteshaltung, die in allen Lebensbereichen zum Tragen kommt – angefangen bei der romantischen Liebe bis hin zum Umgang mit anderen Menschen und Kulturen. Im Mittelpunkt der Ausführungen steht erneut die Auseinandersetzung mit zwei Idealtypen, der Ironikerin und dem Metaphysiker, wie sie vom US-amerikanischen Philosophen und Literaturwissenschaftler Richard Rorty beschrieben werden. Während die Ironikerin, ganz Kind der Postmoderne, nichts für gegeben annehmen will, ist der Metaphysiker ein Dogmatiker, der annimmt, dass man die Welt in ihrer Substanz erkennen kann »wie sie ist«, vorausgesetzt, man verfügt über das richtige Vokabular, um sie entsprechend beschreiben zu können. In diesem Sinne ist Ironie kein rhetorisches oder ästhetisches Stilmittel, sondern eine ganz bestimmte Art und Weise der Weltwahrnehmung. Wir wollen die Ironikerin Richard Rortys in diesem Zusammenhang mit dem Hipster synonym setzen und uns darüber Gedanken machen, ob die Ironie, die unter dem Vernunftdiktat des deutschsprachigen Raumes schon immer einen schweren Stand gehabt hat, nicht auch eine Möglichkeit der Befreiung des Einzelnen sein oder zumindest zu größerem Verständnis und größerer Toleranz zwischen den Menschen beitragen kann. In diesem Sinne wäre der durch und durch ironische Hipster der einzige wahre Humanist.

Eine Frage, die in unseren Expeditionen ins Hipsterterritorium immer mitschwingt, ist jene, ob der Hipster ein reines Modephänomen ist, eine Erscheinung des Zeitgeistes, die ebenso schnell wieder verschwinden wird, wie sie aufgetaucht ist. Auch wenn wir uns vor Augen führen, dass der moderne Hipster schon in den frühen 2000er-Jahren erstmals in den USA ins breite Licht der Öffentlichkeit trat, ist es doch möglich, dass es sich dabei nur um einen Modetrend handelt, der sich, wie das bei popkulturellen Trends mit geringer Halbwertszeit so oft der Fall ist, zeitverzögert auf Europa ausbreitete. Dieser Vermutung widerspreche ich in Kapitel 7 aus zwei Gründen: Erstens verstehe ich den Hipster, wie bereits erwähnt, nicht nur als ein ästhetisches Phänomen, sondern vielmehr als eine Lebenseinstellung, die ein unmittelbares Resultat oder ein Produkt unserer gegenwärtigen Gesellschaftsordnung ist. Solange wie diese weiterbesteht, wird es auch dieses spezifische Set an Werten und Einstellungen geben, ganz unabhängig davon, ob man dies nun das »Hipstertum« nennt oder ihm ein beliebiges anderes Label aufdruckt. Deswegen möchte ich die hippe Generation im Verlauf der Generationen betrachten und überprüfen, ob es den Hipster in einer an Jahren älteren Version gibt. Dabei stößt man auf den »Bobo«. Aber auch für Hipsternachwuchs ist gesorgt. Denn das, was wir als spezifisches Mindset des Hipsters identifiziert haben, finden wir auch in der nachfolgenden jungen Generation der Unter-18-Jährigen vor.

In Kapitel 8 steht schließlich das Verhältnis des Hipsters zur Politik auf dem Prüfstand. Politisches Desinteresse und Apathie in politischen Angelegenheiten sind zwei der Hauptvorwürfe, die dem Hipster immer wieder gemacht werden. Im Anschluss an Richard Rorty müssen wir darüber diskutieren, ob der ironische Hipster überhaupt ein politisches Programm im herkömmlichen Sinne vertreten kann oder ob Ironie und politischer Dogmatismus nicht vielmehr substanziell miteinander unvereinbar bleiben müssen. Neben dieser theoretischen Fragstellung wollen wir uns, in Form eines Exkurses, einem explizit politischen Phänomen aus dem Dunstkreis des Hipsters widmen, dem »Nipster«, dem Nazi-Hipster. Diese Figur hat erst 2014 die Bühne der Öffentlichkeit betreten und geistert seither durch die sozialen Medien: als vegan kochende Videoblogger oder als Betreiber von Seiten im Hipster-Netzwerk Instagram vereinen sie in mehr oder weniger offensichtlicher Art und Weise explizit rechtsradikale Symboliken mit Merkmalen eines politisch harmlosen hippen Lebensstils. Daran zeigt sich die Schattenseite der Ironie, die, da sie nichts für absolut hält, ein durchaus ambivalentes Verhältnis zu Radikalismus hervorrufen kann.

Zum Abschluss treten wir noch einmal einen Schritt zurück und fassen alle Befunde, die wir im Rahmen der vorangegangenen Kapitel gesammelt haben, in einer abschließenden Betrachtung zusammen. Wir werten die Teleskop- und Satellitenbilder aus und analysieren die Gesteinsproben, die unsere interplanetarische Sonde von ihren Expeditionen mit nach Hause gebracht hat. Aus all diesen höchst unterschiedlichen Fundstücken versuche ich, ein Bild des Hipsters zusammenzustellen, das, wie ich hoffe, über das routinierte allgegenwärtige Hipsterbashing hinausreicht. Ziel dieses Buches ist es, den Hipster als eine höchst spezifische Subjektivierungsform darzustellen, das bedeutet als eine Art und Weise, sich einer Welt anzunähern, die viele als immer komplexer und vielschichtiger wahrnehmen. Ganz offensichtlich ist es nicht die einzige Herangehensweise, die Mehrzahl der jungen Leute dürfte mit ihrer Umwelt mehr hadern als dies der Hipster tut. Dieser steht seiner Gegenwart eher wohlwollend gegenüber. Denn er weiß, dass er für das Leben halbwegs gute Karten gezogen hat. Er ist für die Herausforderungen – oder soll ich sagen: Zumutungen? – dessen, was oft als die »Wissensgesellschaft« bezeichnet wird, vergleichsweise gut ausgestattet. In dieser Welt zählen dem Vernehmen nach soziales und kulturelles Kapital, sprich Netzwerke und Ideen, mehr als das alte Geld, die distinguierten Sitten und konservativen Moralvorstellungen und Gesellschaftsbilder der traditionellen Oberschicht. Das kulturelle Kapital, das an Bedeutung gewonnen hat, steht dem Hipster in hohem Ausmaß zu Verfügung. Aus diesem Umstand leitet er, durchaus selbstbewusst, einen Machtanspruch ab. Wie sehr diese neoliberale Erzählung der Wahrheit entspricht, ob diese Erzählung »richtig« oder »falsch« ist, kann an dieser Stelle nicht ausführlicher diskutiert werden. Denn im Zentrum dieser Analyse steht die gesellschaftliche Konstruktion der hippen Wirklichkeit und deren bemerkenswerte Übereinstimmungen und Überschneidungen mit den gegenwärtigen hegemonialen Erzählungen vom entfesselten Individuum, das, von keinem Zwang mehr zurückgehalten, zum Licht aufsteigt. Hierin liegt vielleicht der wesentlichste Grund darin, warum es lohnt, sich mit dem Hipster zu beschäftigen. Denn als Vertreter des herrschenden Weltbildes wird er über kurz oder lang die einflussreichen Positionen in Politik, Wirtschaft und Kultur einnehmen. Sein Weltbild wird dann nicht mehr das einer mittelgroßen Subkultur sein, sondern das der Elite. Mit dem Hipster ist zu rechnen.

Philipp Ikrath,
Wien, im August 2015