Adam Przeworski

Krisen der Demokratie

Aus dem Englischen von Stephan Gebauer

Suhrkamp

Vorwort

Es ist ein Wagnis, ein akademisches Buch über aktuelle Ereignisse zu schreiben. Der Zeitraum zwischen dem Augenblick, in dem das Buch geschrieben wird, und dem Zeitpunkt, in dem es gelesen wird, ist lang, und das politische Leben bleibt unterdessen nicht stehen. Daher müssen viele der folgenden Ausführungen mit dem einschränkenden Hinweis »zu diesem und jenem Zeitpunkt« versehen werden. Doch wenn ein Buch irgendeinen Wert haben soll, müssen die darin enthaltenen Argumente und Schlussfolgerungen die spezifischen Ereignisse überdauern, die in der Zwischenzeit stattfinden. Das sage ich mit geringer Überzeugung: Eben das Ereignis, das mich dazu bewegte, mich auf dieses Unterfangen einzulassen, war eines, das ich nie erwartet hätte: Donald Trumps Wahlsieg. Hätte Trump die Wahl verloren, wären viele Leute, die sich jetzt beeilen, ähnliche Bücher wie dieses zu schreiben, mit anderen Aufgaben beschäftigt, und das gilt natürlich auch für mich. Doch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedingungen, die Trump an die Macht gebracht haben, wären dieselben. Das ist es, was ich bei der Arbeit an diesem Buch gelernt zu haben glaube: Die Ursachen der gegenwärtigen Unzufriedenheit liegen tief und wären durch kontingente Ereignisse nicht beseitigt worden. Daher müssen wir uns fragen, was geschehen wäre, wenn Hillary Clinton gewonnen hätte oder das Brexit-Referendum gescheitert wäre, und was geschehen wird, wenn es den Regierungen, die derzeit in den entwickelten Demokratien im Amt sind, nicht gelingt, das Leben der Menschen, die sie gewählt haben, zu verbessern. Was geschieht dann? Wo sollten wir nach Lösungen suchen: in der Wirtschaftspolitik, in politischen Reformen, in diskursiven Strategien zur Bekämpfung von sozialer Fragmentierung und Rassismus? Ich sehe keine offenkundigen Antworten auf diese Fragen, und deshalb gibt es kaum etwas, von dem ich meine Leser überzeugen möchte. Ich kann lediglich Fragen stellen, Möglichkeiten untersuchen und die Leser auffordern, gemeinsam nachzudenken.

Ich gebe einen Überblick über die gegenwärtige politische Lage in den gefestigten Demokratien der Welt, stelle sie in den Kontext historischer Fälle, in denen demokratische Regime scheiterten und untergingen, und spekuliere über die Zukunftsaussichten dieser Regierungsform. Es ist mir bewusst, dass einige Leser enttäuscht sein werden, weil es mir oft nicht gelingt, zu klaren Ergebnissen zu gelangen. Aber man sollte den zahlreichen Schriften nicht vertrauen, die vorgeben, alle Antworten zu kennen. Ich verstehe und teile das Bedürfnis, den Geschehnissen um uns herum einen Sinn abzugewinnen, und den Wunsch zu glauben, dass die vielfältigen Entwicklungen, die uns überraschen, irgendwie zusammenhängen, dass alles eine Ursache haben muss. Aber festzustellen, was wodurch verursacht wird und was am wichtigsten ist, ist oft sehr schwierig und manchmal unmöglich. Insbesondere in diesen gefährlichen Zeiten müssen wir uns darüber klar werden, was wir nicht wissen, bevor wir entscheiden können, was wir tun sollen. Daher hoffe ich, Skepsis gegenüber allzu schnellen Urteilen bei denen zu wecken, die dieses Buch lesen, weil sie sich Sorgen über die Zukunft der Demokratie machen. Gleichzeitig hoffe ich, dass Studierende und meine Kolleginnen und Kollegen in dieser Arbeit Anregungen für die Forschung zu Fragen finden werden, die technisch schwierig und politisch wichtig sind.

Thema dieses Buchs sind die Gefahren für die Demokratie, die in der gegenwärtigen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Situation lauern. Doch die größte Gefahr droht nicht der Demokratie, sondern der Menschheit: Wenn wir nicht unverzüglich einschneidende Maßnahmen ergreifen, werden unsere Kinder verbrennen oder ertrinken. Wenn diese Bedrohung zur Realität wird, werden alle Sorgen um die Demokratie bedeutungslos. Es ist tragisch, dass diese Schreckensvision lange Zeit kaum politische Aufmerksamkeit gefunden hat, und die fehlende Auseinandersetzung damit spiegelt sich auf den folgenden Seiten wider. Aber sie wirft einen beängstigenden Schatten über alles andere, das uns am Herzen liegt.

Mehrere Personen haben sich mit Teilen des Buchs auseinandergesetzt, und ihre Kommentare sind in die vorliegende Version des Textes eingeflossen. Diese Personen sind Carlos Acuña, José Antonio Aguilar Rivera, Jess Benhabib, Pierre Birnbaum, Bruce Bueno de Mesquita, Cui Zhiyuan, Daniel Cukierman, Larry Diamond, John Dunn, Joan Esteban, Roberto Gargarella, Stephen Holmes, John Ferejohn, Joanne Fox-Przeworski, Fernando Limongi, Luo Zhaotian, Boris Makarenko, Bernard Manin, José María Maravall, Andrei Melville, Patricio Navia, Gloria Origgi, Pasquale Pasquino, Molly Przeworski, John Roemer, Pacho Sánchez-Cuenca, Aleksander Smolar, Willie Sonnleitner, Milan Svolik, Juan Carlos Torre, Joshua Tucker, Jerzy J. Wiatr sowie drei anonyme Prüfer. Besonderen Dank schulde ich John Ferejohn, der mich mit beharrlichem Druck dazu bewegt hat, den analytischen Rahmen zu überarbeiten.